Verschleißberechnung auf energetischer Grundlage

Ebenso, wie sich die Reibungsenergie in die Energieanteile aufteilen läßt, kann der Verschleiß auf ähnliche Weise nach verschiedenen Verschleißmechanismen aufgeschlüsselt werden [9]. Unter Berücksichtigung des neu hinzugekommenen rheologischen Verschleißes ergibt sich eine Aufteilung wie in der nachfolgenden Abbildung vorgenommen:

Aufteilung des Verschleißes in seine Anteile

Jeglicher Verschleiß läuft nach den in Abbildung 6 skizzierten Phasen ab. Es beginnt mit der Einlaufphase, in welcher sich das spätere Profil herausbildet. Anschließend erfolgt im stationären Bereich ein über dem Reibwegweg linearerer Verschleiß, dieses ist auch der Betriebsbereich einer Reibpaarung, da hier bekanntes Verhalten zugrunde liegt. Im dritten und letzten Bereich steht der Ausfall der Reibpaarung. Dieser kann entweder durch Überschreiten einer zulässigen Verschleißhöhe, oder aber im ungünstigsten Fall durch Zerstörung eines (oder mehrerer) Reibkörpers eintreten.

typische Verschleißkurve
Abbildung 6: Typische Verschleißkurve

Für den Verschleiß wird einer der Reibungsenergiedichte analoge Größe, die scheinbare Reibungsenergiedichte definiert. Sie setzt sich aus dem Quotienten von Reibungsarbeit zu Verschleißvolumen zusammen:
(6.1) Formel 6.1: scheinbare Reibungsenergiedichte

Mit der linearen Verschleißintensität (dem Verhältnis von Verschleißhöhe zu Reibweg) und der Reibungsschubspannung ergibt sich dann die energetische Verschleißgrundgleichung als
(6.2) Formel 6.2: energetische Verschleißgrundgleichung

VERSCHL.GIF - 50 kB Eine Graphische Darstellung der Verschleißgrundgleichung mit Angabe der Prozeßparameter erhalten Sie, wenn sie das nebenstehende Bild anwählen. Die darauffolgende Seite hat einen Umfang von ca. 50 kB.


Festkörperverschleiß

Die energetische Verschleißberechnung basiert auf der Hypothese der Energiespeicherung. Diese geht davon aus, daß die Zerstörung einer Kontaktstelle, also die Entstehung eines Verschleißteilchens, nicht durch einen einmaligen Energieimpuls, sondern erst nach mehrmaliger Kontaktierung erfolgt. Dieser Vorgang kann in etwa mit dem Mechanismus des Dauerbruches verglichen werden. Bei genauerer Betrachtung der Entstehung eines Verschleißteilchens, erweist sich dieser Vergleich in einigen Fällen als unzulänglich. Danach wären z.B. rechnerische Rißausbreitungsgeschwindigkeiten möglich die unterhalb der Gitterkonstanten des Werkstoffes lägen [9].

Die Energiespeicherhypothese besagt, daß die Reibungsenergie zu einem Teil irreversibel akkumuliert und zum anderen kinetisch dissipiert wird. Die kinetische Dissipation erfolgt durch Gitterschwingungen, z.B. durch die Entstehung von Wärme und Schall, die irreversible Energieakkumulation erfolgt dagegen mechanisch potentiell. Die akkumulierte Energie kann mit Einführung einer Energieakkumulationszahl geschrieben werden als
(6.4) Formel 6.4: akkumulierte Energie

Es wird vereinfachend davon ausgegangen werden, daß die Speicheranteile je Kontakt (bzw. Impuls) stets gleich groß sind [9]. Die Anzahl der Kontakte bzw. der Impulse die zur Erzeugung eines Verschleißteilchens nötig sind, wird mit nk bezeichnet. Mit der von FLEISCHER neu eingeführten Verschleißzahl, dem Verhältnis von Verschleiß- zu Reibungsvolumen, kann die scheinbaren Reibungsenergiedichte schließlich berechnet werden als
(6.9) Formel 6.9: scheinb. Reibungsenergiedichte nach Fleischer

Das Schlüsselproblem für die Ermittlung des Verschleißes ist die Bestimmung der kritischen Anzahl an Kontaktierungen und der Energieakkumulationszahl bzw. der mittleren Bruchenergiedichte.

Einen Verbesserung des Ansatzes liefern HADLER und KUHN: sie ersetzen die oben getroffene Annahme einer linearen Energieakkumulation durch eine exponentielle degressive Variante. Zur Bestimmung der mittleren Bruchenergiedichte schlagen sie folgende Gleichung vor [11]:
(6.10) Formel 6.10: mittl. Bruchenergiedichte

Bezeichnend für die von HADLER und KUHN vorgestellte Methode ist die Formulierung einer Anfangs- und End-Energieakkumulationszahl. Gegenwärtig sind diese, sowie die von FLEISCHER definierte Energieakkumulationszahl noch nicht rechnerisch bestimmbar. Alle Zahlenwerte sind daher Interpretationen experimenteller Untersuchungen.


Rheologischer Verschleiß

Während sich FLEISCHER und andere bei der Definition des Verschleißes auf die am Reibungsprozeß beteiligten Reibkörper 1 und 2 beschränkte, wurde mit Einführung des Begriffes der scheinbaren rheologischen Energiedichte erstmals eine energetische Größe zur Beschreibung der tribologischen Eigenschaften des Zwischenstoffes 3 gegeben [16]. Die im folgenden beschriebene Quantifizierung des rheologischen Verschleißes bezieht sich auf den Gebrauch von Schmierfett als Zwischenstoff und die damit verbundenen besonderen Betriebsbedingungen einer Reibpaarung.

Fließkurve eines Schmierfettes Zu unterscheiden sind dabei die Zustände der Misch- und Flüssigkeitsreibung. Während der Energieverlust bei der Flüssigkeitsreibung ausschließlich aus dem Schervorgang des Schmierstoffes herührt, treten bei der Mischreibung außerdem Energieverluste durch die Deformation oberflächennaher Stoffbereiche über den Schmierstoff auf.

Eine besondere Eigenschaft ist das thixotrope Verhalten des Zwischenstoffes, wie es die meisten Schmierfette aufweisen. Die Schmierstoffthixotropie beeinflußt während des Reibvorganges einerseits die Spaltgeometrie, andererseits kommt es durch den Strukturabbau zu einem Viskositätsabfall mit der Folge eines geringeren aufzuwendenden Energieaufwandes für den Schervorgang. Reibungsuntersuchungen im ausgeprägten Zustand der Flüssigkeitsreibung zeigen einen Abfall der Reibungszahlen auf die Hälfte der Betriebsreibungszahlen als Ausdruck des Energieverlustes beim Auftreten der Schmierstoffthixotropie [15].

Im folgenden wird der Strukturabbau eines Schmierfettes während einer tribologischen Beanspruchung als rheologischer Verschleiß bezeichnet. Seine quantitative Erfassung beruht auf dem Zusammenhang der rheologischen Verschleißintensität
(6.14) Formel 6.14: rheologische Verschleißintensität
und der auf das Verschleißvolumen bezogenen Reibungsenergie. Letzteres wird als scheinbare rheologische Reibungsenergiedichte bezeichnet und ist definiert als das Verhältnis aus rheologischer Reibungsenergie zu rheologischem Verschleißvolumen:
(6.15) Formel 6.15: scheinbare rheologische Reibungsenergiedichte

Beschreibt man die Intensität des thixotropen Verhaltens des Schmierstoffs mit n, so läßt sich der Werkstoffkennwert der Restenergiedichte zu jedem Zeitpunkt t mit aus Rheometerversuchen erhaltenen Kennwerten (siehe nebenstehendes Diagramm) errechnen als
(6.17) Formel 6.17: Restenergiedichte

Mit dem Wert der scheinbaren rheologischen Reibungsenergiedichte des Zwischenstoffes, d.h. mit der Erfassung des Strukturabbaus eines Schmierfettes sowie seiner besonderen tribologischen Eigenschaften wie Energiedissipation und -akkumulation wird, die analytische Bestimmung des rheologischen Verschleißes möglich.


Abschätzung der Lebensdauer

Normalerweise wird bei einem Ausfall eines Maschinenelements eine gewaltsame Zerstörung durch Überbeanspruchung eines Bauteils verstanden. Daher kann ein Ausfall eindeutig festgestellt werden, der Zeitpunkt des Ausfalls kann ebenfalls genau ermittelt werden. Beim Ausfall einer Reibpaarung ist das nicht so einfach möglich, da er sich in einer anderen Form zeigt:

Aus diesen Gründen wird für eine dem Verschleiß unterworfene Reibpaarung eine maximal zulässige Verschleißhöhe festgelegt, deren Überschreiten einem Ausfall der Baugruppe gleichkommt.

Die Lebensdauer ist die Zeitspanne in Stunden von Inbetriebnahme der Reibpaarung bis zu deren Ausfall, wie oben beschrieben. Wird die Einlaufphase der Reibpaarung (siehe Abb. 6) durch die Einlaufverschleißhöhe und die Einlaufzeit (beide sind experimentell zu ermitteln) berücksichtigt, so kann der Verschleißprozeß als annähernd stationär angesehen werden und die Lebensdauer berechnet sich mit der linearen Verschleißintensität und der Reibungsgeschwindigkeit als
(6.20) Formel 6.20: Lebensdauer
Im Zusammenhang mit der energetischen Betrachtungsweise kann die lineare Verschleißintensität aus der scheinbaren Reibungsenergiedichte nach Formel 6.2 ermittelt werden.


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© 1997 Mail Thomas Hooge , André Diercksen, Home Fachhochschule Hamburg